Das ist keine Zeit für Stress

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft.

Höher. Schneller. Weiter. Immer mehr. Wir lassen uns antreiben, wir treiben uns an.

Sogar dann, wenn es überhaupt nicht um Leistung geht.
Jetzt, wenn die Tage merklich kürzer werden und der erste Schnee gefallen ist, geht für viele die alljährliche Advents- und Weihnachtshektik los. Leistungsstress pur. „Geschenke“, schon das Wort lässt viele Menschen erschaudern. Sie kaufen Berge davon, für die Kinder, die Eltern, die Freunde.

Ausgefallen soll alles sein und schöner als die Geschenke der anderen.

Bei uns ist früher im Advent stets der Back-Wahnsinn ausgebrochen. Auf die Platzerl, fertig, los! Bis zu 20 verschiedene Sorten aus 20 Kilogramm Mehl purzelten nur so von den Blechen in die Dosen und von dort als Geschenk weiter zu den Nachbarn, dem Bürgermeister, den Mitarbeitern, sogar zu den Kunden. Jedes Platzerl war perfekt geformt, verziert, nicht zu groß, nicht zu klein. Das Backen war eine Heidenarbeit, abends tat uns das Kreuz vom Stehen weh, die Hände waren wund von den scharfen Ausstechformen. Weniger backen, einfacher backen? Nein! Schließlich backten die anderen genauso viel.

Obwohl ich in meiner Arbeit sehr leistungs- und ergebnisorientiert bin und nichts von Mittelmäßigkeit halte, habe ich mich irgendwann gefragt: Muss das sein? Backen ist doch so was Schönes. Ich beschloss: Ich habe keine Zeit für Stress. Und in der Weihnachtszeit schon gar nicht. Heute zelebriere ich das Backen. Wenn es draußen nass und kalt ist, Holzscheite im Küchenherd knistern, wenn sich wohlige Wärme im Raum ausbreitet, herrlich. Ich genieße den Duft meiner frisch gebackenen Plätzchen im ganzen Haus. Es gibt mir ein zutiefst zufriedenes Gefühl. Es gibt mir Kraft und Inspiration. Ich kann mich wie ein Kind im Moment verlieren, ohne das Gefühl zu haben, Leistung bringen zu müssen. Ich backe genau eine einzige Sorte: Vanillekipferl. Dazu höre ich sanften Jazz.

Es geht mir nicht ums Produzieren in rauen Mengen. Ich muss nicht zeigen, was ich kann. Ich will einfach ein paar schöne, ruhige Stunden haben. Wenn es dann am Küchenfenster klopft und Menschen einfach bei uns vorbeischauen, wir gemeinsam um den Küchentisch sitzen, ist mein Glück vollkommen. Wir lassen uns jedes einzelne Platzerl genussvoll schmecken. Sie sind herrlich mürbe und zart und süß.

Steigen Sie doch auch mal aus der Leistungs-Spirale aus. Machen Sie etwas nur für sich. Konzentrieren Sie sich auf kleine Dinge. Reduzieren Sie ganz bewusst. Das tut unheimlich gut.

Ihre Juliane Müller